"Den Patienten mache ich keinen Vorwurf“

30. Juli 2018

Seit Januar ist Sabine Dittmar gesundheitspolitische Sprecherin der SPDBundestagsfraktion – und gegen eine Gebühr in der Notaufnahme. Doch es gibt noch mehr aus Berlin.

NP Coburg 2018 07
Sabine Dittmar, MdB, im Redaktionsgespräch mit Tanja Kaufmann / Neue Presse Hassberge (rechts im Bild) Bild: Büro Dittmar / M. Heumann

„Eintrittsgeld“ für die Notaufnahme?
Ärztliche Versorgung nur für Besserverdiener?
Seit dem Vorschlag des Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, notfalls eine Gebühr von den Patienten verlangen, die zu Unrecht die Notaufnahme besuchen, ist die Empörung groß.
Fakt ist: „Viele, die hier sitzen, gehören hier nicht hin.“ Das sagt auch Sabine Dittmar, Bundestags-abgeordnete für den Wahlkreis Bad Kissingen und seit Beginn des Jahres gesundheitspolitische Sprecherin der SPD. Doch wenn sie hier auch zustimme, denke sie doch, „dass es sich die Kassenärztliche Vereinigung (KV) hier zu einfach macht“.

Sabine Dittmar hatte sich am Montag ein Stündchen Zeit genommen, um mit der Neuen Presse über die Veränderungen in der Gesundheitspolitik zu sprechen, die natürlich mal indirekt, mal aber auch ganz direkt die Patienten in den Haßbergen betreffen. Im Fall der brandaktuellen „50-Euro-Notaufnahmen-Gebühr“- Schlagzeile, verweist die Politikerin – einst selbst praktizierende Allgemeinärztin in Maßbach – auf die Versäumnisse der KV selbst: Dieser sei es nicht gelungen, den Bereitschaftsdienst – der stattdessen in den meisten Fällen tatsächlich zuständig sei – besser bekannt zu machen.

„Dem Patienten mache ich keinen Vorwurf“, sagt Sabine Dittmar. Ob er selbst nun unter ambulante oder stationäre Behandlung falle oder gar den Rettungsdienst hätte rufen sollen, diese Beurteilung sei „keinem Patienten zuzumuten“, so Sabine Dittmar. Die Gesundheitspolitikerin plädiert für einheitliche Rufnummern und eine „doppelte Triage“, was soviel wie Einstufung der Patienten nach Dringlichkeit bedeutet: Bereits beim Anruf soll eine geschulte Kraft diese möglichst einschätzen, im Krankenhaus erfolgt dann der zweite Schritt. Genau damit wird bereits am Haus Haßfurt der Haßbergkliniken die Notaufnahme entlastet: Hier nämlich ist direkt nebenan die Bereitschaftspraxis ansässig, Patienten werden also quasi automatisch nach „links“ oder „rechts“ verwiesen, je nachdem, ob ambulante ärztliche Versorgung oder eine Notfallbehandlung notwendig ist.

Apropos Haßbergkliniken: Was dem Haus helfen könne, sei die Tatsache, dass künftig die Pflegepersonalkosten aus den Fallpauschalen „herausgerechnet“ werden. Stattdessen vereinbaren Krankenhäuser zukünftig Budgets mit den Krankenkassen. Die Personalkosten sind in den Haßbergkliniken sehr hoch, da sehr viele langjährige Kräfte hier arbeiten, die nach Tarif arbeiten. „Das ist auch gut so“, betont Sabine Dittmar, „doch somit reichen die Fallpauschalen nicht“. Die wiederum halfen bislang Häusern, die das Geld in (Bau-)Investitionen anstatt in die Pflege gesteckt hatten – eigentlich Aufgabe der Länder, so Sabine Dittmar. „Wir wussten uns da auch nicht mehr zu helfen“, erklärt sie: Doch die Klagen aus dem Bereich der Pflege seien zu stark gewesen.

Insgesamt sieht Sabine Dittmar auch für das kleine Haus der Haßbergkliniken eine Zukunft. „Aber ich glaube, die kleinen Häuser können nicht ohne Kooperation mit großen Häusern funktionieren.“ Netzwerken sei hier ebenso wichtig, wie Spezialisierungen. Dittmar geht davon aus, dass die Haßbergkliniken als Notfallkrankenhaus (Stufe 1) eingestuft werden, die Zuschusshöhe dafür werde aber aktuell noch ausgehandelt. Die ärztliche Versorgung auf dem Land stehe ganz groß auf der gesundheitspolitischen Agenda, betont die Bundestagsabgeordnete. Um mehr Ärzte aufs Land zu bekommen, möchte sie erreichen, dass die Zulassungssperre fällt: Dass sich also bereits ein weiterer Arzt ansiedeln kann, auch wenn seine Stelle gewissermaßen noch besetzt ist – dessen berufliches Ende aus Altersgründen aber abzusehen sei.

Auch die Diskussion um einen Kinderarzt im nordöstlichen Landkreis Haßberge hat Sabine Dittmar verfolgt. Mit Kinderärzten ist der Kreis ausgezeichnet versorgt, nur sitzen alle Stellen in Haßfurt. Die Praxis hier erfährt bei Experten großes Lob. Für „Routinegeschichten“, also Impfungen oder Vorsorgeuntersuchungen könnte sich Sabine Dittmar eine „Zweitpraxis“ in Ebern vorstellen, „das würde die KV unterstützen“. Überdies soll bei den Kinderarzt-Stellen die Beplanung geändert werden und künftig so wie bei den Hausärzten gelten – also nicht nach Kreis, sondern in kleineren Regionen beplant werden.

Bedarf sieht Sabine Dittmar auch beim Apothekennotdienst, der nach wie vor nicht abgestimmt sei. Und: „Auch wenn ein Aufschrei der Apotheker folgen wird, muss man diskutieren, ob einer Bereitschaftspraxis nicht einen Medikamentenkoffer zur Verfügung gestellt wird.“ Außerdem setzt sie sich für ein Kinderkrankengeld über das zwölfte Lebensjahr hinaus ein, den Zugang von Zeitsoldaten zur gesetzlichen Krankenversicherung sowie eine Erhöhung der ärztlichen Mindestsprechzeiten von 20 auf 25 Wochenstunden.

Und: Bei einer regulierten Abgabe von Cannabis an Erwachsene lässt die Arbeitsgruppe Gesundheit der SPD nicht locker. Ein striktes Verbot sei gescheitert, wie die Zahlen zeigen würden, so Sabine Dittmar. „Wir stigmatisieren, kriminalisieren und verbauen die berufliche Zukunft, können aber auf der anderen Seite keine vernünftige Prävention anbieten“, sagt die SPD-Politikerin. Dabei will sie Cannabis nicht verharmlosen: „Es ist eine Droge – genauso wie Alkohol.“ Doch der eine bekomme einen Eintrag ins Führungszeugnis, der andere nicht. Auch aus der Justiz kämen Stimmen, die ihre Kräfte lieber anderswo eingesetzt sähen.

Quelle: Tanja Kaufmann / Neue Presse Hassberge

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