Einführung einer Widerspruchsregelung im Transplantationsgesetz

Büro Dittmar / Michael Frank

24. Juni 2024

Entwurf (Stand 21. Juni 2024)
Gruppenantrag der Abgeordneten
Sabine Dittmar, Gitta Connemann, Prof. Dr. Armin Grau, Christian Bartelt, Dr. Petra Sitte, Prof. Dr. Karl Lauterbach, Jens Spahn, Dr. Janosch Dahmen, Dr. Christoph Hoffmann, Matthias W. Birkwald, Tina Rudolph, Peter Aumer, Bruno Hönel, Dagmar Schmidt, Sepp Müller, Stefan Schwartze, Tino Sorge, Dr. Christos Pantazis, Alexander Föhr, Dr. Johannes Fechner, Mario Czaja

Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Transplantationsgesetzes – Einführung einer Widerspruchsregelung im Transplantationsgesetz

A. Problem und Ziel
Eine Organtransplantation ist für viele schwerkranke Menschen die einzige Möglichkeit auf Lebensrettung oder Linderung eines schweren Leidens.
Viele Menschen, die auf der Warteliste für eine Organtransplantation stehen, sterben, weil für sie kein Spenderorgan zur Verfügung steht.

Im Jahr 2023 verzeichnete die Deutsche Stiftung Organtransplantation mit 965 Organspendern zwar eine Steigerung von 11 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Aktuell stehen in Deutschland aber immer noch 8 400 Patientinnen und Patienten auf der Warteliste für eine Organtransplantation. Die Anzahl von Organspenderinnen und Organspendern reicht damit nach wie vor bei Weitem nicht aus, um den Bedarf an Spenderorganen zu decken.

Ziel der Einführung einer Widerspruchsregelung ist es, die Versorgung der Menschen, die auf eine Organ- oder Gewebespende angewiesen sind, deutlich zu verbessern und ihnen die Möglichkeit zu geben, ein oft lebensrettendes Organ oder Gewebe zu erhalten.

Um dieses Ziel zu erreichen, ist es erforderlich, die Anzahl der Organspenden zu erhöhen. Daher kommt als Organ- und Gewebespenderin oder Organ- und Gewebespender zukünftig nicht nur die Person, die in eine Organ- oder Gewebeentnahme eingewilligt hat, sondern auch die Person, die einer Organ- oder Gewebeentnahme nicht ausdrücklich widersprochen hat, in Betracht.

Dies korrespondiert mit der hohen Organ- und Gewebespendenbereitschaft der Menschen in Deutschland. Nach einer Repräsentativbefragung „Einstellung, Wissen und Verhalten der Allgemeinbevölkerung zur Organ- und Gewebespende 2022“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stehen rund 84 Prozent der Menschen in Deutschland einer Organ- und Gewebespende positiv gegenüber.

Diese Zahl war noch nie so hoch. Vor diesem Hintergrund soll mit Einführung einer Widerspruchsregelung die positive Haltung in der Bevölkerung zur Organ- und Gewebespende besser berücksichtigt und die Lücke zwischen der Anzahl der Spender pro Millionen Einwohnern in Deutschland (im Jahr 2023 11,3) und der Anzahl der Spender pro Millionen Einwohner in Ländern, in denen neben anderen Faktoren bei Geltung einer Widerspruchsregelung die Zahlen signifikant höher liegen, mittelfristig geschlossen werden.

Bei Gewährleistung der Entscheidungsfreiheit der oder des Einzelnen soll es mit der Einführung einer Widerspruchsregelung zu einer Selbstverständlichkeit werden, sich zumindest einmal im Leben mit dem Thema Organ- und Gewebespende auseinanderzusetzen und dazu eine Entscheidung zu treffen, ohne diese begründen zu müssen.
So soll mit der Einführung einer Widerspruchsregelung perspektivisch eine gesellschaftliche Kultur der Organ- und Gewebespende in Deutschland geschaffen werden.

B. Lösung
Nach dem Gesetzentwurf kommt als Organ- und Gewebespenderin oder Organ- und Gewebespender künftig sowohl die Person, die in eine Organ- oder Gewebeentnahme eingewilligt hat, als auch die Person, die einer Organ- oder Gewebeentnahme nicht ausdrücklich widersprochen hat, in Betracht.

Folglich kommt der Möglichkeit der Erklärung eines Widerspruchs in Zukunft eine besondere Bedeutung zu.

Ein erklärter Widerspruch muss verlässlich und jederzeit auffindbar sein und vor einer Entscheidung über eine Organ- oder Gewebeentnahme berücksichtigt werden.
Dies folgt aus dem verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht der möglichen Organ- oder Gewebespenderin oder des möglichen Organ- oder Gewebespenders und ist zwingende Voraussetzung zur Einführung dieser Widerspruchsregelung.
Das im März 2024 in einem ersten Schritt in Betrieb genommene Register für Erklärungen zur Organ- und Gewebespende ist dafür ein wesentliches Element. Es gewährleistet die jederzeitige Auffindbarkeit von Erklärungen zur Organ- und Gewebespende.

Zur Ermittlung des Willens einer potenziellen Organ- oder Gewebespenderin oder eines potenziellen Organ- oder Gewebespenders ist daher zunächst immer dieses Register abzufragen. Hat die Auskunft aus dem Register ergeben, dass die mögliche Spenderin oder der mögliche Spender dort keine Erklärung registriert hat, und liegt der Ärztin oder dem Arzt auch kein schriftlicher Widerspruch der möglichen Spenderin oder des möglichen Spenders vor und ist im Gespräch mit den Angehörigen auch diesen kein entgegenstehender Wille bekannt, ist eine Organ- oder Gewebeentnahme zulässig.

Entscheidend ist der Wille der möglichen Organ- oder Gewebespenderin oder des möglichen Organ- oder Gewebespenders.

Der oder dem nächsten Angehörigen der möglichen Organ- oder Gewebespenderin oder des möglichen Organ- oder Gewebespenders steht kein eigenes Entscheidungsrecht zu, es sei denn, die mögliche Spenderin oder der mögliche Spender ist minderjährig und hat keine eigene Erklärung abgegeben.

Zur Klärung der Spendebereitschaft ist die oder der nächste Angehörige jedoch darüber zu befragen, ob ihr oder ihm ein schriftlicher Widerspruch oder ein der Organ- oder Gewebeentnahme entgegenstehender Wille der möglichen Organ- oder Gewebespenderin oder des möglichen Organ- oder Gewebespenders bekannt ist.
War die mögliche Organ- oder Gewebespenderin oder der mögliche Organ- oder Gewebespender in einem erheblichen Zeitraum vor Feststellung des Todes nicht einwilligungsfähig und damit nicht in der Lage, eine selbstbestimmte Willenserklärung zu treffen und hat sie oder er keine Erklärung zur Organ- und Gewebespende abgegeben, ist die Organ- oder Gewebeentnahme unzulässig.

War die mögliche Organ- oder Gewebespenderin oder der mögliche Organ- oder Gewebespender nur in einem kurzen Zeitraum vor Feststellung des Todes nicht einwilligungsfähig und damit nicht in der Lage, eine selbstbestimmte Willenserklärung zu treffen und hat sie oder er keine Erklärung zur Organ- und Gewebespende abgegeben, so findet die Widerspruchsregelung Anwendung.

Insgesamt tragen die Regelungen damit sowohl zur Entlastung der nächsten Angehörigen, denen nicht wie bisher zugemutet wird, in einer so belastenden Situation eine derart schwere Entscheidung zu treffen, als auch zur Entlastung der Ärztinnen und Ärzte bei. Zudem soll mit den Regelungen zu den nicht einwilligungsfähigen Personen berücksichtigt werden, dass mit Einführung einer Widerspruchsregelung niemand Organ- oder Gewebespenderin oder Organ- oder Gewebespender sein soll, die oder der sich zuvor nicht ausreichend mit der Thematik hat auseinandersetzen können.

Die neuen Regelungen werden mit einer umfassenden Aufklärung und Information der Bevölkerung vor Inkrafttreten des Gesetzes über die Bedeutung und die Rechtsfolgen eines erklärten wie eines nicht erklärten Widerspruchs verbunden.
Auch nach Inkrafttreten des Gesetzes wird eine kontinuierliche Aufklärung der Bevölkerung sichergestellt, um zu gewährleisten, dass jede und jeder Einzelne selbstbestimmt über eine mögliche Organ- oder Gewebespende entscheiden kann.

C. Alternativen
Keine. Insbesondere haben die bisherigen gesetzlichen Änderungen bisher bedauerlicherweise nicht zu der angestrebten substanziellen Verbesserung der Organspendezahlen in Deutschland geführt.

D. Kosten Die Einführung der mit diesem Gesetzentwurf vorgesehenen Widerspruchsregelung erfordert eine umfassende und kontinuierliche Aufklärung der Bevölkerung insbesondere durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Durch die vorgesehene einmalige Information aller zu unterrichtenden Personen, das heißt aller Bürgerinnen und Bürger, die das achtzehnte Lebensjahr vollendet haben (ca. 65 Millionen), entstehen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung für den Druck von aktuellen Informationsflyern mit integriertem Organspendeausweis und die Vorhaltung / Bereitstellung insgesamt Kosten in Höhe von mindestens 27,5 Millionen Euro.

Hinzu kommen noch Kosten für die Überarbeitung der bestehenden Informationsmaterialien in Höhe von rund 850.000 Euro. Zusätzlich muss eine neue Kampagne (Flyer, Erklärfilm, Webseite und Social-Media) vorbereitet und gestartet werden; die Kosten dafür betragen geschätzt 1,5 Mio. Euro jährlich.

Für die vorgesehene einmalige personalisierte Information der Bevölkerung entstehen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Sachkosten (Recherche Adresse, Druck Anschreiben inkl. Adresseindruck, Kuvertieren, Frankieren und Versand) von einmalig grob geschätzten 26,5 Millionen Euro bei Inkrafttreten des Gesetzes.
Hinzu kommen laufende Kosten für die einmalige Information der Personen, die in den ersten vier Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes das 18. Lebensjahr vollenden, die derzeit auf etwa 700.000 Euro im ersten Jahr bis 740.000 Euro im vierten Jahr geschätzt werden.

Auf Seiten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung müssen die organisatorischen und technischen Voraussetzungen einschließlich eines Lieferkonzeptes für die Belieferung der Daten durch die Meldebehörden für die automatisierte Verarbeitung der Daten geschaffen werden.

Dadurch entstehen grob geschätzte Kosten von rund 500.000 Euro im ersten Jahr zzgl. 15 % dieser Kosten im Folgejahr. Dazu kämen die Kosten für die Programmierung der Software in Höhe von mindestens 3 Millionen Euro. Zur Umsetzung ist zudem zusätzlich mindestens eine 1,0 VZÄ E 12 TVöD (Lohnkosten 46,50 Euro/h) bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung notwendig.

Der Gesetzentwurf hier zum nachlesen / Download:

Gesetzentwurf Widerspruchslösung 2024 06 21 (PDF, 459 kB)

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