Es passiert oft schneller als gedacht

04. September 2014

Organspendeausweise zum Verteilen stecken immer in ihrer Tasche.

Die SPD-Gesundheitsexpertin Sabine Dittmar hat als Ärztin erlebt, wie quälend eine schnelle Entscheidung für eine Organspende sein kann. Und sie hat Ideen, wie es besser laufen könnte.

Im Interview

Sabine Dittmar (SPD) glaubt, dass mehr Menschen zur Spende bereit wären, wenn es mehr Aufklärung geben würde. – © Janis Westphal

Haben Sie einen Organspendeausweis?

Ja, natürlich! Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, dass, wenn ich helfen kann, ich das auch mache. Übrigens habe ich in meiner Tasche stets noch weitere Organspendeausweise, damit ich sie an Interessierte verteilen kann.

Sie haben Humanmedizin studiert und 15 Jahre als Hausärztin praktiziert. Wie präsent war das Thema der Organspende da?

In unserer Praxis lagen von Anfang an Organspendeausweise aus. Ich habe Patienten aktiv darauf angesprochen, sie aber nie zur Bereitschaft zur Organspende überredet. Mir war es immer wichtig, dass der Ausweis überhaupt ausgefüllt wird. Da kann ich auch "Nein" ankreuzen oder kann mich auf bestimmte Organe beschränken. Die dramatische Situation ist doch, wenn der Angehörige am Sterbebett interpretieren und entscheiden muss: Was war jetzt eigentlich der Wille, wollte er spenden oder nicht? Ich hatte in meiner Praxis Menschen, die selbst entscheiden mussten, ob sie Organe – beispielsweise vom verunglückten Sohn – zur Organspende freigeben oder eben nicht. Das war ein einschneidendes Erlebnis.

Die Zahl der Spender ist gesunken. Viele Leute haben Angst, sie könnten vorschnell für tot erklärt werden, nur damit man an ihre Organe kann.

Man kann nur Organspender sein, wenn man für sich die Hirntoddiagnostik als Kriterium der Todesfeststellung akzeptiert. Aber ich kann diese Ängste schon nachvollziehen. Man muss wissen, dass mit dem Hirntot noch nicht die letzte Zelle abgestorben ist und dass da beispielsweise noch Nägel und Haare wachsen. Aber letztendlich liegt natürlich eine irreversible Schädigung des Hirnstammes, des Kleinhirns und des Großhirns vor. Die Gehirntod-Diagnostik wird immer von zwei unabhängigen Ärzteteams durchgeführt. Deren Urteil sollte man vertrauen und es akzeptieren. In den USA ist es beispielsweise so, dass man nach zehn Minuten Herzstillstand (Null-Linien-EKG) zur Organspende freigegeben wird. Damit hätte ich meine Probleme, weil ich weiß, dass man mit Reanimation doch noch einiges erreichen kann.

Wie könnte das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewonnen werden?

Natürlich ist durch die Manipulation von Wartelisten ein Vertrauensdefizit da. Dennoch denke ich, dass der Hauptgrund für die geringe Bereitschaft, Organe zu spenden, viel eher ein Wissens- als ein Vertrauensdefizit ist. Ich würde mir von Apotheken und von den ärztlichen Kollegen wünschen, dass sie aktiv den Patienten ansprechen – beispielsweise bei Gesundheitschecks. Oder ein anderes Beispiel: wenn Sie zur Gemeindeverwaltung gehen, dass da neben dem Stadtplan vielleicht auch ein Organspendeausweis liegt.

"Manipulationen an Wartelisten von Empfängern von Organspenden sind künftig strafbar" – so der Beschluss des Bundestages vom 14. Juni 2013. Wie wird denn gewährleistet, dass es gerecht zugeht?

In der Klinik wird entschieden, ob ein Patient auf die Warteliste für Empfänger kommt. Jeden Einzelfall schauen sich unabhängige Experten an, also nicht nur der behandelnde Arzt. Es gilt das Mehr-Augenprinzip.

Welche Regelungen würden Sie sich noch wünschen?

Zunächst einmal sollte die rechtliche Absicherung des Lebendspenders angegangen werden – wenn Spender Dienstausfälle haben, Reha benötigen oder es zu Komplikationen kommt. Außerdem traurig, aber wahr: Über die Hälfte unserer Krankenhäuser beteiligen sich überhaupt nicht an der Aufgabe Organspende. Das heißt, die Meldebögen, ob ein Patient dafür in Frage käme oder nicht, werden nicht ausgefüllt. Das ist genau genommen eine Verweigerung des Auftrags, den die Kliniken haben. Warum ist das so? Liegen die Ursachen darin begründet, dass es zu schlecht finanziert wird oder liegt es schlicht und ergreifend daran, dass im Alltag des Klinikbetriebes zu wenig Zeit bleibt? Letzteres vermute ich eher.

Glauben Sie, dass auch in Sachen Vergabe nach den Skandalen an mehreren deutschen Kliniken jetzt sauber gearbeitet wird?

Ich hoffe es. Aber ganz ehrlich: Ich habe mir vor den Skandalen nicht vorstellen können, dass so etwas möglich ist. Was da ans Licht kam, hat mich tief erschüttert. Das war einfach kriminell. Urin ist gepanscht worden, damit der Wert ein anderer wird. Es wurden Menschen auf dem Papier dialysepflichtig gemacht, obwohl sie dies nicht waren – eigentlich doch unvorstellbar!

Im Jahr 2010 nahm Frank-Walter Steinmeier (SPD), heute Außenminister, sich eine Auszeit von der Politik, um seiner schwer kranken Frau eine Niere zu spenden. Braucht es mehr positive Beispiele?

Natürlich ist es immer gut, wenn jemand Prominentes so etwas tut oder auch nur darauf hinweist, dass er einen Organspendeausweise besitzt. Es stimmt, die Nierenspende Steinmeiers ging durch die Presse. Man hatte kurzfristig eine erhöhte Sensibilität für dieses Thema. Doch solche Themen bedürfen längerfristiger Aufmerksamkeit.

Können Sie sich die Regelung vorstellen, nach denen nur Leute, die selbst einen Organspendeausweis haben, im Notfall Organe erhalten?

Nein, absolut nicht. Das finde ich einfach unethisch! Wenn ich einen Patienten habe, dann muss ich ihm helfen – unabhängig von Sozialstatus, Herkunft und Bildungsgrad.

Was ist Ihr stärkstes Argument, um Menschen davon zu überzeugen, selbst Organspender zu werden?

Dass man selbst auch in die Situation kommen kann, wo man auf ein Organ angewiesen ist – und das leider viel schneller, als man denken kann.

Über Sabine Dittmar:

Sabine Dittmar, geboren 1964, trat im Jahr 1981 in die SPD ein. Nach ihrem Studium arbeitete die gebürtige Maßbacherin (bei Würzburg) einige Jahre als Hausärztin in einer Gemeinschaftspraxis. Im September 2013 wurde sie über die Bayerische Landesliste der SPD in den 18. Deutschen Bundestag gewählt und ist nun Mitglied im Gesundheitsausschuss.

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