Persönliche Erklärung zum Einsatz in Syrien

04. Dezember 2015

Mandat zum „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen in Verbindung mit Art. 42 Abs. 7 des Vertrags über die Europäische Union sowie den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen.“

Sehr geehrte Damen und Herren,

heute musste ich die schwerste Entscheidung meiner bisherigen parlamentarischen Laufbahn treffen. Weder den Entscheidungsprozess noch die Entscheidung selbst habe ich mir leicht gemacht. Doch nach Abwägung aller Argumente, nach langen Diskussionen in unserer Fraktion und im Plenum, nach Gesprächen im privaten und politischen Umfeld und nach genauem Studium des Gutachtens „Staatliche Selbstverteidigung gegen Terroristen“ des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages habe ich mich entschieden, dem Mandat für einen Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation ISIS zuzustimmen.

Der syrische Bürgerkrieg hat sich mittlerweile zu einem regional und international beeinflussten Krieg ausgeweitet. Insbesondere die aus dem Irak stammende terroristische Gruppe ISIS hat seit 2014 mehr und mehr an Macht und Einfluss gewonnen und in den von ihr kontrollierten Gebieten im Irak und in Syrien ein Terrorregime errichtet. Nachdem sich die terroristischen und militärischen Aktivitäten von ISIS zunächst ausschließlich auf den Irak und Syrien konzentrierten, wurde vor einiger Zeit ein Strategiewechsel vollzogen. Die Terrorgruppe ISIS und ihr nahestehende Gruppen und Einzelpersonen tragen ihren Terror vermehrt und konzentriert in die Nachbarländer und bis nach Europa. Die Terroranschläge im tunesischen Badeort Sousse, in Beirut, Ankara, über der Sinai-Halbinsel und zuletzt in Paris mit Hunderten von Toten und Verletzten sind brutaler Ausdruck dieses Strategiewechsels.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat mit der Resolution 2170 vom 15. August 2014 und der Resolution 2199 vom 12. Februar 2015 sowie mit der Resolution 2249 vom 20. November 2015 wiederholt festgestellt, dass von der Terrororganisation ISIS eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit ausgeht.

Ich bin überzeugt, dass es für den zugrundeliegenden Syrienkonflikt letztlich nur eine politische Regelung geben kann. Hierfür hat sich die Bundesregierung und insbesondere Außenminister Frank-Walter Steinmeier seit Amtsübernahme mit ganzer Kraft eingesetzt. Ziel war und ist es, den Vereinten Nationen und ihrem Sonderbeauftragten Staffan Domingo de Mistura eine führende Rolle in diesem Konflikt zu verschaffen. Eine erste Konferenz zur Bündelung der Kräfte zur humanitären Hilfe wurde auf deutsche Initiative im November 2014 in Berlin durchgeführt. Im Rahmen des politischen Prozesses zur Konfliktregelung (Konferenzen in Wien) hat sich die Bundesregierung mit Nachdruck für die Einbeziehung unter anderem von Iran und Saudi Arabien eingesetzt. Beide Länder spielen jeweils eine wichtige Rolle in diesem Krieg.

Ich unterstütze den politischen Ansatz des UN-Sondergesandten de Mistura, auf dessen Initiative vier Arbeitsgruppen unter Einbeziehung der Konfliktparteien (ohne ISIS) zu Kernfragen des Konflikts gegründet wurden. Eine Arbeitsgruppe wird vom deutschen Nahost-Experten Prof. Volker Perthes geleitet. Aus den Ergebnissen der vier Arbeitsgruppen könnte die Grundlage für eine Vereinbarung geschaffen werden, um einer politischen Konfliktregelung näher zu kommen.

Mit den Erklärungen der Wiener Konferenzen vom 30. Oktober und 14. November 2015 wurde den Vereinten Nationen eine zentrale Rolle zugewiesen und der Weg für eine politische Konfliktregelung vereinbart.

Dieser wichtige politische Prozess bezieht nicht die Terrorgruppe ISIS ein, die kein Verhandlungspartner sein kann. Im letzten Jahr hat die Bundesregierung entschieden, die kurdische Regionalregierung im Nordirak in Abstimmung mit der irakischen Zentralregierung mit militärischer Ausbildung und Ausrüstung in ihrem Abwehrkampf gegen ISIS im Irak zu unterstützen. Dieses Engagement hat sich als sinnvoll und notwendig erwiesen. Mehrere von ISIS besetzte Gebiete im Norden Iraks konnten zurückerobert werden.

Nach den Terroranschlägen am 13. November 2015 in Paris hat Präsident Hollande die Bundesregierung gebeten, sich auch mit militärischen Mitteln zur Unterstützung Frankreichs, des Irak und der internationalen Allianz in ihrem Kampf gegen ISIS zu beteiligen. Die Bundesregierung hat nach intensiver Prüfung Frankreich militärische Fähigkeiten im Kampf gegen ISIS angeboten. Hierzu gehören sowohl Aufklärungs- und Luftbetankungsflugzeuge als auch eine Fregatte zum Schutz eines französischen Flugzeugträgers.

Die Anschläge vom 13. November galten nicht nur Frankreich, sondern uns allen. Sie richteten sich gegen unsere Werte und unsere Art zu leben. Die Frage nach der Solidarität aller Europäer darf daher durchaus gestellt werden.

Trotz meiner großen Skepsis gegenüber einem militärischen Engagement gegen die Terrorgruppe ISIS habe ich mich –wie anfangs schon dargelegt- nach intensiven Diskussionen und einem schwierigen Abwägungsprozess entschieden, dem Mandat der Bundesregierung zuzustimmen.

Diese Zustimmung fiel mir wirklich nicht leicht. Ich weiß jedoch, dass die Bundesregierung ihr Engagement nicht auf das Militärische konzentriert, sondern das militärische Engagement im und über dem Operationsgebiet der Terrororganisation ISIS nur als ein Teil ihres gesamten Engagements in der Region betrachtet. Mit dem Wiener Prozess hat sich eine Chance für eine politische Regelung des Syrienkrieges eröffnet, die die Bundesregierung zusammen mit ihren Partnern nutzen will und muss.

Deshalb unterstütze ich die Bundesregierung darin, ihre Aktivitäten gegen den internationalen Terrorismus im Allgemeinen und gegen ISIS im Besonderen zu verstärken. Hierzu gehören vor allem die bereits in der UN-Sicherheitsratsresolution 2170 vom 15. August 2014 unter Kapitel VII der UN-Charta beschlossenen Maßnahmen gegen ISIS, Al Qaida und mit ihnen verbündeten Terrorgruppen. Insbesondere die Anwerbung und Ausreise von ausländischen terroristischen Kämpfern nach Syrien muss unterbunden werden. Ebenso müssen die in der Resolution aufgeführten Maßnahmen zur Unterbindung der Finanzierung des Terrorismus konsequent und von allen Staaten angewendet werden. Der illegale Verkauf von Öl und anderen Ressourcen sowie der ungehinderte Finanzzufluss an ISIS – oftmals durch staatliche Institutionen geduldet oder gar organisiert – muss mit allen Mitteln unterbunden werden. Darüber hinaus ist es unabdingbar, dass ISIS-Kämpfern der unkontrollierte Zugang zu anderen Staaten in der Region verwehrt wird. Hier kommt der Türkei eine maßgebliche Rolle zu.

Die deutschen Behörden arbeiten in der Terrorismusbekämpfung bereits sehr eng und in einem breiten Spektrum von Maßnahmen mit Frankreich zusammen. Diese enge Kooperation gilt es auf alle EU-Staaten und darüber hinaus auszudehnen.

Wir dürfen nicht zulassen, dass sich der IS-Terror zu einem „Kampf der Kulturen“ entwickelt. Nach wie vor sind die meisten Opfer von ISIS selber Muslime. Die Anschläge von Paris dürfen nicht dazu instrumentalisiert werden, um hierzulande gegen Flüchtlinge zu hetzen und Muslime auszugrenzen. Im Gegenteil: Unsere Anstrengungen zur Integration insbesondere junger Muslime müssen gesteigert werden, um Parallelgesellschaften und Ghettobildungen zu verhindern.

Nur durch einen gesamtpolitischen Ansatz wird es möglich sein, das terroristische Treiben von ISIS einzudämmen und künftige Terroranschläge in der Region und darüber hinaus wirkungsvoll zu unterbinden. Auf dieser Grundlage wird es hoffentlich möglich sein, endlich einen Weg zu finden, den brutalen Bürgerkrieg in Syrien mit über 250.000 Toten zu beenden und eine politische Regelung zu ermöglichen.

In Anbetracht der über 6 Millionen Binnenflüchtlinge und über 4 Millionen Flüchtlinge in den Nachbarländern und in Europa müssen wir weiterhin humanitäre Hilfe und die sogenannte Übergangshilfe leisten. Seit 2012 hat Deutschland hierzu über 1,1 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Im Haushalt 2016 wurde der Ansatz für Humanitäre Hilfe und die zivile Krisenprävention um über 400 Millionen Euro erhöht. Es gilt, das Engagement für die Flüchtlinge und Hilfsbedürftigen in der Region in Abstimmung mit unseren internationalen Partnern und den Partnerorganisationen vor Ort fortzusetzen und wo möglich und nötig zu verstärken.

Nach Abwägung all dieser Umstände habe ich dem Mandat zum Einsatz bewaffneter Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation „Islamischer Staat“ zugestimmt.

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