Wahlkreis 248 blüht jetzt auch im "V"

09. Oktober 2014

Sabine Dittmar und 48 Besucher bringen Erde aus Unterfranken in den Reichstag und machen damit aktiv Kunst

Berlin / Bad Kissingen / Rhön-Grabfeld / Haßberge.

Der Sack mit Erde aus dem Wahlkreis
Das corpus delicti unmittelbar vor dem Ziel.....

Man muss sich das vorstellen: 434 Kilometer hat die Erde nun schon hinter sich. Erst haben sorgsame Hände sie aus Gärten geborgen, in Bad Kissingen und Hammelburg, in Haßfurt und in Maßbach und an einem Dutzend anderer Orte aus dem Wahlkreis, haben sie in Tüten und Gläsern verstaut, dann in Taschen und Koffern. Und schließlich im Sack. „Der Bevölkerung“ steht auf der groben Jute, darunter „Erde aus dem Wahlkreis Bad Kissingen (248)“ und „Im Bundestag vertreten durch Sabine Dittmar“. Und jetzt soll es scheitern an den letzten paar Metern?

„Der Sack ist verhaftet!“ Es klingt wie ein Witz - aber es ist keiner. Während Sabine Dittmar die 48 Besucher aus ihrem Wahlkreis begrüßt, die eben alle Sicherheitsschleusen des Bundestags passiert haben, hält die Polizei den Sack erst einmal fest. Erde? Aus Unterfranken? Da könnte ja jeder kommen.

Eben nicht. Erde dürfen ins Reichstagsgebäude allein Abgeordnete bringen. Auch sackweise. Sollen sie sogar. Selbst wenn es nicht gleich so aussieht: Das ist Kunst. Der Polizei im Reichstag aber muss man das erst erklären. Und auch nicht jeder Abgeordnete nimmt die Installation des Künstlers Hans Haacke ernst. Oder wenigstens wichtig. Als der in New York lebende gebürtige Kölner 1998 für den Innenhof des alten und nun wieder neuen Parlamentssitzes einen Pflanztrog entwarf, in dessen Mitte die Inschrift „Der Bevölkerung“ leuchten sollte, geformt aus denselben Schrifttypen wie das Motto „Dem deutschen Volke“ über dem Westeingang, gab es Streit. Die einen sahen in Haackes Idee einen Angriff auf das Grundgesetz - die anderen einen legitimen Denkanstoß, wer denn nun alles Bevölkerung sei in Deutschland. Mit nur zwei Stimmen Mehrheit entschied sich der Bundestag, noch in Bonn, für Haackes Installation. Seit 2000 leuchtet nachts in zartem Neonblau „Der Bevölkerung“ in den Himmel über Berlin - und rundum wuchert, was seitdem Generationen von Abgeordneten mit Erde aus ihren Wahlkreisen mitgebracht haben: vom Gemeinen Wiesenknöterich bis zur Wald-Erdbeere, von der Kornelkirsche bis zur Winter-Linde. Und zwanzig Tierarten treiben sich zwischen Bevölkerung und Pflanzen herum. Es ist vielleicht der lauschigste Ort des Reichstagsgeländes. Ganz sicher ist es der wildeste.

Die Unterfranken aber bleiben ruhig, trotz konfisziertem Sack. Da und dort ruht noch ein Beutelchen Erde in einer Tasche - und dann: Was soll die Polizei auf Dauer mit dem Franken-Land? Und richtig: Am Ende gibt die Staatsmacht die Krume frei. Nach Susanne Kastner ist nun Sabine Dittmar die zweite, die den Wahlkreis 248 in Berlin blühen lässt. Pünktlich zum Abschluss ihres ersten Jahres im Bundestag. Gemeinsam mit Konrad Spiegel aus Hofheim, Manfred Hoffmann aus Maßbach und Dr. Friedrich Oehm aus Sulzfeld packt sie an. Ach ja: Wohin mit dem Stück Unterfranken? Ins D hat Susanne es vor fast vierzehn Jahren getragen. In der Spitze des V ist Raum für Neues. Dort macht sich ab jetzt der Wahlkreis 248 breit. Vielleicht am Ende mehr als die Polizei erlaubt.

Info: Unter www.derbevoelkerung.de wird nicht nur Hans Haackes Installation vorgestellt und erläutert. Dort findet sich auch eine Liste der Abgeordneten, die Erde aus ihren Wahlkreisen nach Berlin gebracht haben. Außerdem ist dort ständig eine aktuelle Webcam-Aufnahme der Installation zu sehen; sie wird zweimal täglich erneuert.

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