Wie SPD-Politikerin Sabine Dittmar ihrem Kollegen Karl Lauterbach die Show stiehlt

16. November 2021

Unter Insidern galt sie schon lange als praxiserfahrene Gesundheitspolitikerin. Jetzt rückt die Abgeordnete aus Unterfranken in Berlin in die erste Reihe auf. Wie es dazu kam.

Egal ob "Tagesschau", "RTL aktuell" oder "heute-journal": Aktuell scheint es kaum eine Nachrichtensendung zu geben, in der Sabine Dittmar nicht zu sehen und zu hören ist. Wenn die SPD-Politikerin aus Maßbach (Lkr. Bad Kissingen) mit ihrem unterfränkischen Idiom die weichen und die harten Konsonanten in "Pandemie" verwechselt, nimmt sie der kritischen Lage fast ein wenig die Dramatik. Leider nur phonetisch: Dittmar ist derzeit so oft im Fernsehen zu erleben, weil die Corona-Lage so prekär ist. Und weil das neue Infektionsschutzgesetz, das die Unterfränkin federführend für die SPD verhandelt, die erste Bewährungsprobe für die geplante Ampel-Koalition unter Bundeskanzler Olaf Scholz darstellt.

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Testen, Aufklären vor dem Impfen und im Parlament. Und Impfen, Impfen, Impfen | Bilder: Büro Dittmar | Marco Heumann, Manfred Hoffmann | ZDF

Corona-Politik und SPD: Müsste da nicht eigentlich Karl Lauterbach, der Medizinprofessor aus dem Rheinland, im Bundestag und bei Pressekonferenzen in Berlin reden? "Warum", fragt Dittmar freundlich, aber bestimmt zurück. Schon in der abgelaufenen Legislaturperiode habe schließlich sie für ihre Fraktion am Infektionsschutzgesetz gearbeitet – "und an vielen anderen Gesetzen in Sachen Gesundheit und Pflege auch".

Die Ärztin gibt sich selbstbewusst: "Gesundheitspolitik wird im Bundestag und seinen Ausschüssen gemacht, und nicht in Talkshows." Diese Spitze gegen den Parteifreund, den Dauergast bei "Lanz", "Illner", "Anne Will" und Konsorten, muss dann schon sein, auch wenn sie, so sagt Dittmar, "den Karl" wegen seiner fachlichen Expertise durchaus schätze.

Und so erlebt das politische Berlin die 57-Jährige gerade als leidenschaftliche Streiterin für mehr Konsequenz im Kampf gegen Corona. Dittmars wichtigste Botschaft: "Impfen, impfen, impfen." 18 Millionen ungeimpfte Erwachsene hierzulande seien viel zu viele. Und auch wenn aufgrund der Einschränkungen durch 2G-Regelungen sich langsam der eine oder andere doch noch für ein Vakzin entscheide: Vor Weihnachten gehe von diesen Impfungen leider noch keine Immunitätswirkung aus, warnt die Allgemeinmedizinerin.

Dittmar: Abbau von Impfzentren war ein Fehler

Umso wichtiger sei es, "dass wir wenigstens mit dem Boostern schnell vorankommen". Mit der Drittimpfung erreiche man positive Effekte, also einen besseren Schutz vor Ansteckungen und Übertragungen, sehr unmittelbar. Umso unverständlicher sei es, dass in vielen Bundesländern die Appelle von Experten, schon im Sommer offensiv fürs Auffrischen der Corona-Impfung zu werben, verhallt sind. Und es sei ein Fehler gewesen, Impfzentren zwischenzeitlich abzubauen "statt im Stand-by-Modus offenzuhalten", kritisiert Dittmar.

Was das neue Infektionsschutzgesetz betrifft, liegen der Ärztin vor allem die Regelungen für Seniorenheime am Herzen. Neben den Beschäftigten, für die 3G am Arbeitsplatz gelte, müssen Besucherinnen und Besucher künftig wieder einen negativen Test vorliegen oder sich vor Ort vom Personal testen lassen. Dieser "bürokratische Aufwand" sei zu rechtfertigen, um größere Ausbrüche zu verhindern. Die SPD-Bundestagsabgeordnete würde eine Impfpflicht für alle begrüßen, die in Heimen, Kliniken und Kitas arbeiten - von der Pflege- bis zur Reinigungskraft. Sie sei zuversichtlich, so sagt sie, dass sich die FDP in dieser Frage nun auch bewege und zeitnah ein entsprechendes Gesetz im Bundestag verabschiedet werde.

Tausende Abstriche gemacht

Sabine Dittmar hat sich als Gesundheitspolitikerin in Berlin auch deshalb einen Namen gemacht, weil sie ihr Fachwissen immer durch eigene Erfahrung untermauern kann. "Der Praxisbezug ist mir auch als Abgeordnete immer wichtig gewesen." Seit Eröffnung der Corona-Testzentren im Herbst 2020 hat Dittmar an vielen Tagen an der Teststrecke in Oerlenbach (Lkr. Bad Kissingen) ehrenamtlich mitgearbeitet und Tausende Abstriche gemacht. In diesem Sommer unterstützte sie ihren Mann Diethard, wenn dieser als Betriebsarzt in Firmen zum Impfen unterwegs war.

Diese Bodenständigkeit und das Anpacken sind denn auch, was Kolleginnen und Kollegen an der 57-Jährigen schätzen. Dittmars Lebensweg ist eine klassische sozialdemokratische Aufstiegsgeschichte. Nach dem Qualifizierenden Hauptschulabschluss in ihrer Heimatgemeinde Maßbach machte sie an der Fachschule in Münnerstadt eine Ausbildung zur Kinderpflegerin. Auf dem zweiten Bildungsweg legte sie am Bayernkolleg in Schweinfurt ihr Abitur ab, studierte erst Physik und schließlich in Würzburg Medizin. 1995 stieg sie als Landärztin mit in die Maßbacher Hausarztpraxis ihres Mannes ein. Schon lange kommunalpolitisch aktiv, folgte 2008 der Sprung in die große Politik. Nach fünf Jahren im Bayerischen Landtag wurde Dittmar dann 2013 zum ersten Mal über die Landesliste in den Bundestag gewählt.

Karriere schien schon zu Ende

Im Frühling dieses Jahres sah es dann so aus, als ginge die politische Karriere der Maßbacherin zu Ende. Rang 14 auf der Landesliste schien angesichts der Umfragewerte für die SPD ein aussichtsloser Platz zu sein. Dittmar selbst sagt, innerlich habe sie sich schon auf den Abschied aus den Bundestag eingestellt - "und auf der Homepage der Ärztekammer nach Wiedereinstiegskursen gegoogelt". Es sei ihr immer klar gewesen, dass Mandate nur auf Zeit vergeben werden. Insofern habe sie sich durchaus vorstellen können, wieder ganz als Ärztin tätig zu sein.

Doch dann folgte im Spätsommer der rasante Aufstieg von Olaf Scholz und der SPD. Der Rest ist Geschichte. Locker schaffte die 57-Jährige am 26. September den Wiedereinzug in den Bundestag. Und die Arbeit dort scheint Dittmar mehr Spaß zu machen denn je. Dass die SPD vermutlich den nächsten Kanzler stellt, sei ein zusätzlicher Motivationsschub, bekennt die Abgeordnete.

Ob da noch mehr draus werden kann? Eine Gesundheitsministerin oder eine Staatssekretärin Sabine Dittmar? "Über die Ressortverteilung und über Personalien haben die Ampel-Parteien noch gar nicht gesprochen", antwortet die Maßbacherin nüchtern, schiebt dann aber nach: "Ich arbeite gern politisch verantwortlich für die Gesundheit meiner Mitmenschen."

Wie das Karl Lauterbach wohl sieht?

Diesen Artikel verfasste Michael Czygan | MAINPOST

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