09. Juli 2021
Die frühere Hausärztin gehört zu den langjährigen Gesundheitspolitiker:innen des Landes. Im Interview fordert Sabine Dittmar, die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, einen großen Wurf bei der Krankenhauspolitik, kritisiert das Fast-Track-Verfahren und wünscht mehr Aufklärung in Sachen Datenspende.
In der vergangenen Legislatur wurden die regulatorischen Grundlagen für die Digitalisierung der Medizin in Deutschland gelegt. Wie schätzen Sie das Potenzial für die Gesundheitsversorgung in Deutschland ein?
- Die Corona-Pandemie hat wie ein Brennglas gezeigt, wo es noch hakt und wo wir deutlich besser werden müssen. Das Entscheidende ist in meinen Augen die Akzeptanz. Die Möglichkeiten der digitalen Versorgung müssen im Alltag für Leistungserbringer und Patien:innen spürbar werden. Mit der Pandemie hat sich dies ein Stück weit geändert und verbessert. Das Potenzial ist aber bei weitem nicht ausgeschöpft. Der Digitalisierungsstandard in deutschen Krankenhäusern ist im europäischen Vergleich immer noch niedrig. Mit digitalen Medikationsplänen arbeitet kaum ein Haus. Das Krankenhauszukunftsprogramm ist ein erster Schritt, aber ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Was muss konkret passieren, braucht es eine stärkere Absicherung der Investitionen?
- Die Gelder werden sehr unterschiedlich eingesetzt. Die einen stärken die digitale Notfallversorgung, andere innere Prozesse. Ziel muss eine größere Vernetzung der Häuser mit der ambulanten Versorgung, mit den Pflegeheimen oder der großen Schwerpunktkliniken mit kleineren Häusern der Basisversorgung in der Peripherie sein. Für die nächste Legislatur braucht es einen neuen Anlauf bei der dualen Finanzierung. Der Bund wird sich stärker beteiligen müssen, die Länder und Kommunen sind überfordert.
Müssen wir Abschied nehmen von der DRG-basierten Krankenhausfinanzierung?
- Eine Finanzierung dieser Aufgabe über DRG wird nicht reichen. Es ist auch nicht nur eine Aufgabe der Selbstverwaltung und der Versichertengemeinschaft. Wir brauchen eine umfassende Digitalisierungsstrategie für unser Gesundheitswesen. Aktuell macht jeder etwas. Wir brauchen Leitplanken, die für alle verpflichtend sind. Dazu gehören eine bessere Vernetzung, sektorenübergreifend wie innerhalb der Sektoren und die bessere Anbindung der Gesundheitsberufe.
Zentrale Rolle der gematik ist es, Standards für den Einsatz digitaler Technologien zu definieren. Wie operativ soll sich die gematik als staatliches Unternehmen zukünftig am Markt positionieren?
- Die gematik hat nun eine Doppelfunktion. Sie entwickelt wie im Falle des E-Rezepts eine eigene Anwendung, gleichzeitig definiert sie Standards und zertifiziert besagte Anwendung mit externer Unterstützung. Es braucht hier in meinen Augen eine strikte Trennung der Strukturkompetenzen und Aufgaben. Reden müssen wir auch über eine Finanzierung aus Steuermitteln, zumal der Bund nun die Mehrheit an der gematik hält.
Der DVG-Fast Track wurde konzipiert, um digitale Innovationen schneller in die Regelversorgung zu überführen. Wie bewerten Sie den Fast Track?
- Gegen Schnelligkeit hat niemand etwas. Das Verfahren wird allein von der Exekutive bestimmt, die Selbstverwaltung ist außen vor. Transparenz und Patientenbeteiligung bleiben dabei auf der Strecke. Hier entscheidet am Ende eine nachgeordnete Behörde des BMG allein über die Erstattungsfähigkeit in der GKV, das kann so nicht bleiben. Kritisch ist vor allem aber auch die freie Preisbindung im ersten Jahr, die zu hohen Kosten für die Gemeinschaft der Versicherten führt. Ein Bewertungsverfahren für höheren Risikogruppen, wie sie einige fordern, müssen die Kriterien von Evidenz und der Zusatznutzen in den Mittelpunkt stellen. Die Patientensicherheit und Transparenz eines solchen Verfahrens muss zwingend gewährleitet sein.
Die Verfügbarkeit medizinischer Daten, insbesondere im zeitlichen Verlauf, ist für die Weiterentwicklung der Medizin von herausragender Bedeutung. Wie lässt sich die Verfügbarkeit derartiger Daten für die Forschung verbessern?
- Der Patient ist der Souverän seiner Daten. Datenspenden sind freiwillig, wir sind aber auf Daten angewiesen, um bei Forschung, Entwicklung und Bedarfsplanung voranzukommen. Bei der ePA haben wir daher die Möglichkeit einer Datenspende vorgesehen. Der Patient kann selbst entscheiden, ob und für was er seine Daten zur Verfügung stellen möchte. Mehr Aufklärung und aktive Ansprache durch die Ärzte, Verbände und Behörden würden helfen.
Foto: Benno Kraehahn
Das Interview erschien auf: hih - health innovation hub des Bundesministeriums für Gesundheit